Sexueller Missbrauch – 10 Thesen die betroffene Kinder und Jugendliche in den Blick nehmen

In Vorbereitung und aus Anlass eines Expertengesprächs im BMFSFJ, auf Einladung von Bundesfamilienministerin Dr. Giffey hat Prof. Jörg M. Fegert zehn Thesen formuliert und mit Arbeitsergebnissen belegt. Sie sollen psychisches Leid sowie körperliche und psychische Langzeitfolgen durch Prävention und geeignete Intervention mindern, denn es ist wichtig, dass Betroffene und ihre Interessen bei politischen Debatten im Fokus stehen und nicht allein die Täter und Täterinnen und ihre abscheulichen Taten.

Er schreibt in der Einleitung zu seinen zehn Thesen:

Die Metapher vom „Seelenmord“ als Argument für Strafverschärfung bietet gleichzeitig die Rechtfertigung, sich in der Debatte gar nicht mehr mit den notwendigen Verbesserungen für Kinder und Jugendliche mit Hilfsangeboten und Therapie auseinander zu setzen. Doch gerade Artikel 6 GG, der die Familie vor Übergriffen des Staates schützt, betont auch das Wächteramt der staatlichen Gemeinschaft. Wir alle sind in der Pflicht das Wohl der betroffenen Kinder und Jugendlichen in den Blick zu nehmen. Strafverschärfungen allein helfen dabei wenig, zumal Strafandrohungen auf solche Täter wenig Abschreckungswirkung entfalten. Kinder und Jugendliche und als Kinder missbrauchte erwachsene Betroffene haben ein Recht auf Teilhabe in unserer Gesellschaft

 Die Zehn Thesen
  • These 1: Die gesetzlichen Grundlagen für den Kinderschutz sind eigentlich gut, ihre unzureichende Umsetzung ist das Problem
  • These 2: Kinderschutz ist Daueraufgabe – um Entwicklungen erkennen zu können ist ein regelmäßiges Monitoring notwendig
  • These 3: In Kinderschutzfällen ist ein interdisziplinäres Vorgehen, vor allem bei der Risikoabschätzung, wichtig
  • These 4: Digitalisierung, Internetkriminalität und organisierter Kindesmissbrauch sind Charakteristika die bei anderen Misshandlungsformen so nicht anzutreffen sind
  • These 5: Sexting unter Jugendlichen als ein getrenntes Phänomen beachten
  • These 6: Betroffene Kinder trotz laufender Strafverfahren stärken, Praxis der Glaubhaftigkeitsbegutachtung überdenken
  • These 7: Zugang zu Hilfsangeboten, Frühintervention und Therapie flächendeckend ermöglichen
  • These 8: Bei Maßnahmen wie Inobhutnahme und Fremdunterbringung sexuell missbrauchter Kinder und Jugendlicher ist Qualitätssicherung durch die Entwicklung individueller Schutzkonzepte notwendig.
  • These 9: Spezifische Beratung stärken und „insoweit erfahrene Fachkräfte“ besser ausbilden, Beratungsangebote für Fachkräfte in den Heilberufen oder in der Schule verstetigen
  • These 10: Corona hat einen großen Schub für webbasierte Fortbildungen gebracht, diese Dynamik sollte man jetzt nutzen.
Auszüge aus dem Fazit

Die Konzentration auf einzelne Skandalfälle kann schnell in der politischen Debatte zu einem falschen Fokus führen. Die „SeelenmordMetapher“ ist schon als Buchtitel oder auch in der Debatte um die Folgen von sexuellem Missbrauch wiederholt, auch von Betroffenen, verwendet worden. Aus der Sicht engagierter Helferinnen und Helfer und auch eines verantwortungsvollen Staates verbietet sich eine solche Zuschreibung, die geeignet ist, den Eindruck zu erwecken, die betroffenen Kinder seien für ihr Leben geschädigt, man könne da ohnehin nichts mehr machen. Dies verkürzt dann die Argumentation auf die scheinbar präventive Wirkung einer Strafverschärfung und lenkt davon ab, dass Hilfe möglich, ihre flächendeckende Bereitstellung aber teuer, ist. Wir können die schlimmen Taten nicht ungeschehen machen, aber die meisten betroffenen Kinder und Jugendlichen werden weiterleben (das Risiko für Suizidversuche und Suizide ist allerdings erhöht) und geeignete Hilfen und Unterstützungen können ihnen gutes Leben trotz schlimmster Erfahrungen ermöglichen, wenn Therapie, Pädagogik und Sozialpädagogik gemeinsam erfolgreich sind. Viele Betroffene berichten, wie sie in der Schule Unterstützung erfahren haben und wie wichtig es für sie war, einen Ort zu haben, wo sie erfolgreich sein konnten und anerkannt waren. Gesellschaftliche Teilhabe oder wie es häufig gesagt wird „einfach dazugehören“ ist deshalb ein wichtiges Ziel in einer fürsorglichen Gesellschaft.

Alle Thesen werden in der 16seitigen Stellungnahme erläutert. Darüber hinaus wird auf weiterführende Informationen hingewiesen.